Goldschleier und „Schuldkult“

Zur Rolle der Desiderius-Erasmus-Stiftung im neurechten Geschichtsdiskurs

Seit 2017 gibt es die Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES), eine parteinahe politische Stiftung, die der „Alternative für Deutschland“ (AfD) nahesteht. Spätestens mit Beginn der nächsten Legislatur 2021 und dem absehbaren erneuten Einzug der AfD in den deutschen Bundestag wird die Stiftung zum ersten Mal Geld aus Bundesmitteln erhalten: mehr als 70 Millionen Euro. 1
Der Gründung der Stiftung gingen auch im AfD-Umkreis heftige Diskussionen voraus: Politische Stiftungen seien ein Instrument der „Altparteien“, so die Kritik, von denen sich die AfD als Bewegungspartei bewusst abzugrenzen habe. Befürworter*innen konterten dies mit der Forderung nach „Waffengleichheit“ 2 (Erika Steinbach: „Man darf dem David nicht die Steinschleuder wegnehmen, um den Goliath zu erlegen“ 3), die gegenüber den anderen Parteien herzustellen sei. Mittlerweile ist die Stiftung in der AfD unumstritten, die von ihr gebotenen Vorteile dürften schlicht zu verführerisch sein: Neben direkten staatlichen Zuwendungen hat die Partei nun die Möglichkeit, über die Stiftung Geld auch aus anderen Quellen anzunehmen und über Honorarzahlungen weiterzugeben – die Buchhaltungspflichten für politische Stiftungen sind großzügig. Die Stiftung ist aber auch in programmatischer, ideologischer und publizistischer Hinsicht von unschätzbarem Wert für die Partei: als Forum einer Metapolitik, die Diskursverschiebungen gerade in einem kulturellen und bildungsbürgerlichen Milieu gestattet, das sich sonst von schrillen politischen Auftritten wenig beeindrucken lässt.

Politische Stiftungen in der Bundesrepublik

Die Rolle politischer Stiftungen im politischen System der Bundesrepublik ist sehr hervorgehoben und wahrscheinlich einzigartig unter den westlichen Demokratien. Jährlich wird über eine halbe Milliarde Euro an die Stiftungen gezahlt 4 – fast ohne öffentliche Kontrolle und Transparenzpflichten. Bewilligt werden die Mittel als sogenannte Globalzuschüsse durch den Bundestag, dessen Mitglieder meist auch den Stiftungen vorstehen (Beispiel: Die Parlamentarierin Angela Merkel sitzt als MdB zugleich im Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung).

„2017 bekam die Ebert-Stiftung insgesamt rund 171 Millionen Euro, gefolgt von der Adenauer-Stiftung (167 Millionen), der Luxemburg-Stiftung und der Böll-Stiftung (jeweils 64 Millionen) sowie der Seidel- und der Naumann-Stiftung (jeweils 58 Millionen). Seit 2012 hat sich der Gesamtbetrag um 30 Prozent erhöht, eine Obergrenze existiert nicht.“ https://taz.de/!5518970/

Ein Stiftungsgesetz, welches etwa die Höhe der Zuwendungen regelte und von NGOs wie Transparency International seit Jahren gefordert wird, ist weiterhin abwesend. Im Unterschied zur Parteienfinanzierung, welche über die Skandale vergangener Jahrzehnte viel stärker reguliert wurde – staatliche Mittel wie auch jährliche Zuwächse sind strikt gedeckelt – gibt es bei den Stiftungen nichts Vergleichbares. Der Verdacht, dass Parteien fragwürdige Finanzierungsmodelle nunmehr über den Umweg der Stiftungen abwickeln, findet seinen Nährboden in zahlreichen dokumentierten Unregelmäßigkeiten. 5 Die politischen Aktivitäten der Stiftungen im Ausland, die oft weit über ihr Gründungsmandat hinausreichen, wirken ebenfalls befremdlich: Erinnert sei nur an das Verständnis, welches Vertreter*innen der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für den Putsch in Honduras 2009 aufbrachten.

So etwa bei der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung, die Verluste beim Tagungs- und Hotelbetrieb mit Steuermitteln beglichen haben soll. Das Bundesverwaltungsamt konnte einen Missbrauch der Seidel-Stiftung für Tagungsstätten nachweisen („CSU-nahe Stiftung muss 1,8 Millionen Euro zahlen“ www.sueddeutsche.de/bayern/umgang-mit-steuergeldern-csu-nahe-stiftung-muss-1-8-millionen-euro-zahlen-1.2159283).

Auch demokratietheoretisch lässt sich die Arbeit der Stiftungen kritisieren, besonders in ihren Stipendienprogrammen: Parteiübergreifend pflegen sie eine elitäre Sprache, eine Rhetorik der Exklusivität und Erwähltheit. Kader- und Korpsgeist ist auch dezidiert linken Stiftungen nicht fremd. Trotz ambitionierter Förderung marginalisierter und einkommensschwacher Schichten verstärken Stiftungen soziale Ungleichheit eher, denn sie zu überwinden 6 – so dienen den Parteien die Stiftungen parteiübergreifend oft nur der Reproduktion ihrer Funktionärs- und Führungsreserve.
Alle Stiftungen sehen sich aber in der Pflicht, ihr kulturelles Programm mit historischen Vorträgen, Seminaren und Konferenzen zu begleiten, die die NS- Vergangenheit thematisieren und sich ihrer wie auch immer gearteten Aufarbeitung verpflichten. Mit der AfD tritt in dieses Spektrum nun erstmals eine Partei, in der namhafte Akteur*innen geschichtsrevisionistische Thesen befördern, „erinnerungspolitische Wenden um 180 Grad“ fordern oder die NS-Zeit als „Vogelschiss“ bagatellisieren. Aus Gedenkstätten gibt es Berichte über AfD-Reisegruppen, die mit offen revisionistischen Thesen provozieren wollen. Nicht zufällig: Das Ende des „deutschen Schuldkults“ ist zentrales Motiv der AfD- Geschichtspolitik. Nur eine selbstbewusste, von den Fesseln einer selbstquälerischen „Zivilreligion“ befreite deutsche Nation, so der Tenor, könne der Zukunft entschlossen entgegentreten.

Die Rolle der Desiderius-Erasmus-Stiftung

Die zur Drucklegung noch andauernde Gründungs- und Konsolidierungsphase der Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) ist öffentlich vor allem durch Streit, Chaos und schrille Einzelakteur*innen gekennzeichnet. Die Auseinandersetzung darüber, ob die AfD überhaupt einer Stiftung bedürfe, wurde bald abgelöst von der Diskussion über ihren möglichen Namenspatron: Zeitweise war mit der Stresemann-Stiftung ein hauseigener Konkurrent erwachsen. Die stärkere historische Belastung des Namens wie auch der Einspruch der Nachkommen Stresemanns haben diese Alternative inzwischen obsolet gemacht. Bizarre öffentliche Stellungnahmen, geschichtsrevisionistische Tweets und kämpferische Ansagen 7 von prominenten Kuratoriumsmitgliedern wie der ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Erika Steinbach und dem Investmentberater Max Otte haben in der Öffentlichkeit für scharfe Gegenreaktionen gesorgt. 8 Der spektakuläre Austritt des rechten Publizisten David Berger aus dem Kuratorium zeigt, dass diese öffentliche Selbstfindungsphase noch nicht abgeschlossen ist. 9
Interessanterweise hat diese Selbstzerfleischung in der Öffentlichkeit eher zu einer Geringschätzung der von der DES ausgehenden Gefahr geführt: Steinbach und Konsorten seien ja nicht ernst zu nehmen, ihre Forderungen nicht mehrheitsfähig. Diese paradoxe Verharmlosung durch Skandalisierung findet im offiziellen Stiftungsprogramm eine Antwort, das betont zivil und moderat auftritt. Im Gegensatz zum viel stärker polarisierend und kämpferisch agierenden rechtsradikalen Thinktank „Institut für Staatspolitik“ (IfS) setzt die DES ausweislich ihrer bereits erhältlichen Publikationen und ihrer Homepage auf bürgerliche Themen wie Religion, Kultur, „Abendland“ etc. Statt krassen Polemiken zur „Islamisierung“ bietet die DES liberal anmutende Seminare wie „Islam: Zum Konflikt zwischen Religionsfreiheit und einer Verteidigung unserer Grundwerte“. 10

Andere Seminartitel lauten: „Frauenpolitisches Seminar: GLEICHBERECHTIGUNG versus GLEICHSTELLUNG“, „Migration: Zur politischen Herausforderung durch eine neue Völker-wanderung“, „Rechts – Mitte – Links: Über weltanschauliche Grundlagen und deren Konsequenzen“, „Nachhaltigkeit ist ein konservatives Prinzip“.

Wiederum in Abgrenzung zur von Schwulst und Mystizismus gekennzeichneten Rhetorik des IfS ist bei der DES eine Hinwendung zu aktueller akademischer Sprache wahrzunehmen: Sie entspricht überwiegend kurrenter soziologischer und kulturwissenschaftlicher Terminologie und scheut auch nicht den Kontakt zu linksalternativer und feministischer Theoriebildung. 11 Die DES will akademisch ernstgenommen werden; unterhalb des grandiosen Krawalls des Kuratoriums ist der Mittelbau der DES offenkundig bestrebt, Anschlussfähigkeit zum normalen Hochschulbetrieb herzustellen.

Vgl.: Alia Wielens: „‚Wo bleibt euer Aufschrei?‘ Rassistische Umdeutungen von #aufschrei und #metoo durch Identitäre Frauen.“ In: Femina Politica 01/2019 Alia Wielens

Dieses Programm ist aber ebenso offenkundig nur vorgeschoben: Die DES bot bereits Veranstaltungen zum Thema, wie man als Aktivist*in einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz entgeht.12 Mit der wachsenden Beobachtung einzelner Segmente der AfD durch die Sicherheitsbehörden werden Programme dieser Art zwangsläufig an Bedeutung gewinnen.
Zu erwarten ist also eine exoterisch-esoterische Doppelstrategie: einerseits eine exoterische Normalisierung, ein Schwimmen mit dem akademischen Strom aktueller liberalbürgerlicher Diskurse, im Sinne des Narrativs: „Die AfD ist eine normale Partei mit einer normalen Stiftung.“

https://taz.de/Angst-der-AfD-vor-dem-Verfassungsschutz/!5542441/

Auffassung der ihr nahestehenden politischen Stiftung mindestens für die Dauer einer Wahlperiode der volle Anspruch auf Zuteilung von Globalzuschüssen zu. Auch die Bedeutung für die Indoktrination darf nicht unterschätzt werden: Ohne Zweifel werden Stipendien der DES (wie die anderer Stiftungen) auch von politisch eher fernstehenden, aber finanziell bedürftigen Studierenden nachgefragt werden, die mit einem umfangreichen Programm ideologisch und sozial an das Netzwerk gebunden werden können. Über das Bildungswerk können Stipendiat*innen in alle akademischen Berufe, in alle Branchen ausgestreut werden. Nicht zuletzt werden sie selbst als Pädagog*innen in Schulen wirken – und auch auf das an die junge Generation vermittelte Geschichtsbild Einfluss nehmen.

Zu erwartende Geschichtspolitik

Ohne Zweifel ist das Auftreten der parteieigenen Stiftung auf ein bildungsbürgerliches Publikum zugeschnitten. In Abgrenzung zum rabiaten Auftreten einzelner Vertreter*innen der Stiftung werden Besucher*innen der DES-Homepage von einer betont kühlen, beruhigenden Ästhetik empfangen. Die Assoziationen, die erweckt werden sollen, sind denkbar unpolitisch, ähneln eher denen einer literarischen Gesellschaft denn einer radikalen Organisation. Genuin politische Botschaften reduzieren sich auf Appelle an humanistische Werte und abendländische Traditionen. Die DES spricht über Kultur, nicht über Politik. In ihren verfügbaren Schriften tritt sie selten polemisierend und niemals verletzend auf. Ihr Revisionismus ist subtil – krasse Shoah-Relativierungen, das hat die Neue Rechte gelernt, verschrecken bürgerliche Bündnispartner*innen. Vielmehr ermuntert sie, „weniger bekannte“ Seiten der Historie anzugehen, webt einen sanften Goldschleier über die Vergangenheit, die ja doch nicht nur schlecht gewesen sein könne. Holocaustrelativierungen geschehen wenn, dann indirekt, durch Dethematisierung oder Ironisierung – wie etwa bei einer Tagung zum Thema „100 Jahre Ende des Ersten Weltkrieges. Die Europäischen Friedensordnungen seit 1918 und das Selbstbestimmungsrecht der Völker“. 13

Bei der Problemanalyse für die Zeit zwischen dem Ende des Ersten und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs gingen die damit befassten Referenten auf die Kriegs- und Vernichtungspläne der Nationalsozialisten nicht ein. Vielmehr konzentrierte sich der Wiener Historiker Lothar Höbelt darauf, dass mit dem System von Versailles „keine neue Weltordnung“ geschaffen werden konnte und zahlreiche Probleme ungelöst geblieben seien. So sei das Selbstbestimmungsrecht nur einigen Völkern zugestanden worden, nicht aber den Sudetendeutschen in der neu gegründeten Tschechoslowakei, auch nicht den Ungarn in Rumänien und den Ukrainern in Polen. Diese Probleme seien dann Ende der 30er-, Anfang der 40er-Jahre „gelöst“ worden, sagte Höbelt und ließ es ausdrücklich offen, ob man „gelöst“ in Anführungsstriche setzen sollte oder nicht.“

Die ostentative Unbekümmertheit und der sanfte Nationalismus werden als Folie gebraucht, um gewissermaßen einen Geschichtsrevisionismus ex negativo zu erzeugen: Neben der frischfrommfröhlichen, nonchalanten Geschichtsbetrachtung der DES werden mahnende Historiker*innen, die zum Lernen aus der Geschichte auffordern, zwangsläufig als Hysteriker*innen, Nörgler*innen und Spielverderber*innen wirken, die dem fröhlichen Party-Patriotismus im Weg stehen. En passant entsteht die Frage nach der Interessenlage derart unpatriotischer Historiker*innen, ein antisemitisches Dog-Whistling par excellence. Der Geschichtsrevisionismus ex negativo entsteht auch dort, wo der Rechtsruck als vermeintlicher Linksruck dargestellt wird. Es geht gar nicht so sehr darum, selbst revisionistische Positionen zu produzieren, sondern um ein Reframing des historischen Diskurses als solchem. Beispielhaft der Redner Karl-Heinz-Weißmann (stellvertretender Kuratoriums-Vorsitzender DES), der im Juni 2019 im Berliner Kronprinzenpalais den Kongress „Meinungsfreiheit – Anspruch des Grundgesetzes und politische Realität“ eröffnete. Zu Beginn der Veranstaltung stellte er sechs Zitate in den Raum, die er erst später historischen Personen zuordnete – zu Themen wie „Rasse“, Einwanderung und Geschichtspolitik. 14 Diese Zusammenstellung sollte laut Weißmann deutlich machen, dass die
„gegenwärtig geltenden Denk- und Sprachregelungen nichts weniger als selbstverständlich sind. Dass die Biologie des Menschen von Bedeutung ist, dass die Kollektivschuld einen unerträglichen Vorwurf darstellt, dass unsere Soldaten Ehre hatten, dass die Beziehung zwischen Mann und Frau und die Familie eine entscheidende Bedeutung für die Existenz eines – ich wage es kaum auszusprechen – eines Volkes haben, und dass es da, wo es eine Mitte und eine Linke gibt, logischerweise auch eine Rechte geben muss: Das alles steht heute mehr oder weniger stark unter Tabu.“

„Weder aus Frankreich, noch aus England, noch aus Deutschland dürfen wir Einwanderungsländer machen. Das ertragen diese Gesellschaften nicht. Dann entartet die Gesellschaft.“ (Applaus) (Helmut Schmidt; Anfang der 90er) – „Dass der durchschnittliche IQ der Schwarzen um eine Standardabweichung also 15 Punkte niedriger liegt als der der Weißen, kann als Faktum gelten“ (Artikel 1974 Zeit, Diether E. Zimmer). Dieser stellte sich die Frage „ob denn da ein Zusammenhang zwischen menschlichen Großgruppen, früher einmal ‚Rasse‘ genannt, deren biologischer Ausstattung und dem was daraus folge bestehe“, so Weißmann. – „Hitler hat genausoviele Deutsche wie Juden getötet. Ich kann nur sagen, dass wir bestrebt sind diese Zeit der Gräuel, die man nicht ungeschehen machen kann, zu überwinden. Wir sollten sie aber nun der Vergangenheit überlassen.“ (1966, Adenauer) – „Es ist Propaganda über die Wehrmachtssoldaten zu sagen, ihr Militärdienst sei eine Art von Verbrechertum gewesen, weil Verbrecher die oberste Kommandogewalt besessen haben.“ (Theodor Heuss) – „Entscheidend ist, dass sich jeder zutiefst der einzigartigen, sittlichen und völkischen Aufgabe und Bedeutung unserer Familien, unserer Mütter und Väter bewusst wird und damit in eine gemeinsame Kampffront für unsere Familien einsetzt.“ Franz Josef Würmeing; Rede im Bundestag der 1950er, Familienministerium – „Erhaltung muss den Umsturz ablösen. Um der bewahrenden Weltanschauung Bahn zu schaffen haben wir uns zu einer Partei der Rechten zusammengeschlossen.“ (Manifest der Rechten im Frühsommer 1945)

Der Redner der DES erzeugt selbst keine kohärente revisionistische Argumentation, sondern versucht eine Richtigstellung: In seiner Suggestion gab es einmal einen homogenen, „normalen“ Diskurs über Nation, „Rassen“ und Holocaust, der in jüngster Zeit missbräuchlich verändert worden sei. Erneut stehen nicht-revisionistische Historiker*innen als manipulativ und geschichtsfälschend da, während die DES scheinbar die Geschichte für sich selbst sprechen lässt.

Grundsätzlich muss der Nationalismus der DES unter anderen Vorzeichen als denen des 20. Jahrhunderts gesehen werden. Neue Nationalist*innen glauben nicht mehr an eine historische Mission des Vaterlands, seine göttliche oder biologische Erwähltheit. Als Schüler*innen der Postmoderne brauchen sie auch nicht mehr an den Konstruktcharakter der Nation erinnert werden, sie leben ihn vielmehr bewusst: Die als Konstruktion erkannte Nation wird gerade als solche funktional. Die Menschen, so die Argumentation, bräuchten gerade in globalisierten Zeiten das nationale Narrativ für ein Gefühl der Sicherheit.

Es ist deshalb davon auszugehen, dass die DES in ihrer Veranstaltungspolitik sich einerseits weiter an klassisch bürgerlichen Themen („Abendland“), andererseits an postmoderner und kritischer Begriffsbildung orientieren wird – gerade im Hinblick auf die akademische Jugend. Für rechte Studierende ist es nicht attraktiv, in den von ihnen als links dominiert wahrgenommenen Fächern der Sozial- und Geistes-wissenschaften direkt mit der kruden und eigenbrötlerischen Terminologie der Neuen Rechten aufzutreten – wohingegen ein rechtes Reclaimen kritischer Theorie subversiv und aufregend ist. Schon jetzt sind Versuche im akademischen Teil der Identitären Bewegung auszumachen, Begriffe der queeren, feministischen oder antirassistischen Identitätspolitik „ethnopluralistisch“ auszulegen. Die Adaption der Sprache der Entmarginalisierung wird rhetorische Strategie – als scheinbar legitimes Widerstandsgebaren 15 einer angeblich verfolgten weißen Minderheit, deren Identität lediglich dieselben Rechte beanspruche wie die genuin Marginalisierter. Zu erwarten ist hier eine Bündelung weißer, männlicher / maskulinistischer und geschichtsrevisionistischer Opfernarrative auch im internationalen Kontext.

vgl. auch Steinbach: „David nicht die Steinschleuder wegnehmen“

Aller Voraussicht nach wird dies auch die Strategie der „erinnerungspolitischen Wende“ sein, als deren maßgebliches Organ die DES schon jetzt angesehen werden kann. Der Holocaust wird nicht mehr direkt relativiert, der Faschismus als Teil der deutschen Geschichte akzeptiert – es muss lediglich ein „entkrampfter“ Bezug zu ihr gefunden werden. Ein entpolitisierter, kulturalisierender, letztlich enthistorisierter Geschichtszugang kommt dem Bedürfnis einer Öffentlichkeit entgegen, die sich entgegen jeder statistischen Evidenz als von Holocaustpädagogik überschwemmt empfindet. 16
Geschichte wird deshalb von rechts als Sammlung von „Geschichten“ dargestellt werden, in welchem die russische Gefangenschaft des SS-Opas gleichberechtigt neben der einer Überlebenden des Warschauer Ghettos steht. Mit solcherart enthistorisierter Geschichte entsteht eine reaktionäre „Multiperspektivität“, die universelle Maßstäbe ablehnt, historische Kausalität und Verantwortung leugnet und stattdessen einen emo-tional wie kognitiv stark distanzierten, ästhetisierten und auf gegenwartsbezogenen Mehrwert hin instrumentalisierten Geschichtszugang erlaubt. Diese neue, tückische Form des Geschichtsrevisionismus ist deswegen so effektiv, weil sie auf kritische Strategien der Geschichtspädagogik zurückgreift und sie in ihrem Sinne umdeutet – in der Konsequenz werden ihre Kritiker*innen zwangsläufig als reaktionär, gestrig oder methodisch altmodisch dastehen. 17

Erik Lehnert (Schriftführer); zugleich Vorsitzender des IfS seit 2008, bis vor kurzem Geschäftsführer, zudem Mitarbeiter des MdB Harald Weyel (wiederum im Kuratorium der Stiftung). In einem Interview bezeichnete sich Lehnert einmal als Kämpfer „gegen eine moralinsaure Zivilgesellschaft, die jegliche Regung am rechten Rand unterdrückt“. https://www.welt.de/print/die_welt/politik/article200898750/AfD-nahe-Stiftung-oeffnet-sich-fuer-Rechtsaussen.html

Zu erwartende Geschichtspolitik

Um die geschichtspädogischen Strategien der DES zu bekämpfen, bedürfte es zunächst einer weitergehenden Dekonstruktion und Denormalisierung ihrer Methoden, einer Sichtbarmachung ihrer Strategien und einer Dechiffrierung ihrer bereits jetzt sehr elaborierten Rhetorik, die zahlreiche Anschlusspunkte für verschiedene Milieus und gesellschaftliche Bedürfnisse bietet. Die Aufmerksamkeit darf dabei gerade nicht auf der leerlaufenden Skandalisierung der oft absichtsvoll schrill auftretenden Figuren des Kuratoriums verweilen. Vielmehr müssen die Akteur*innen im Mittelfeld benannt werden, die die Normalisierungsstrategie im Wesentlichen tragen. Zuvörderst wäre dabei das Metanarrativ anzugreifen, welches die DES als eine Stiftung wie alle anderen Stiftungen darzustellen wünscht.

Ungleich wichtiger wäre aber ein Entzug der strukturellen und institutionellen Förderung, die die DES allein schon aufgrund ihrer Teilnahme am Parteiensystem erhalten wird. Ohne auch für andere Parteien schmerzhafte Korrekturen am ausnehmend lückenhaften Stiftungs- und Parteiengesetz wird das schlicht nicht zu leisten sein. 18 Zugleich sind bürgerliche Akteur*innen aufgerufen, ihr eigenes Geschichtsbild darauf zu überprüfen, ob es den Zielen einer enthistorisierten Historie bereits jetzt in Teilen entspricht. Dies wird nicht gelingen ohne Rekurs auf einen im bürgerlichen Milieu immer noch anschlussfähigen Topos der historischen Verantwortung. Zugleich müssen Bürgerliche klarstellen, dass staatliche Aufgaben sich nicht in einem ideologischen Vakuum vollziehen. Zu gerne wird hier das Grundgesetz als Sammlung von Freiheitsrechten dargestellt, in deren Rahmen geschichtsrevisionistische Thesen, als grundsätzlich von der Meinungsfreiheit gedeckt, zähneknirschend hingenommen werden müssten. Das Grundgesetz als historische Antwort auf die Verbrechen des Nationalsozialismus ernstzunehmen bedeutet hingegen die Pflicht, gerade jenen Positionen entgegenzutreten, die die vom Grundgesetz gewährten Rechte gegen diese selbst richten wollen.

Aus dem Themenheft „Wie die Rechten die Geschichteumdeuten“

„Ein Stiftungsgesetz könnte die Einnahmenseite der politischen Stiftungen einheitlich regeln, ein Politikfinanzierungsbericht Transparenz auf der Ausgabenseite schaffen. Doch dazu kommt es nicht, weil sowohl Regierung als auch Opposition kein Interesse daran haben. Alle profitieren vom System, so wie es jetzt ist. Anstatt dessen legten fünf Stiftungen eine gemeinsame Erklärung vor, in der sie vorschlugen, ‚bei einer Erhöhung des Gesamtansatzes der Globalzuschüsse die Zuwachsrate des Gesamthaushaltes grundsätzlich nicht zu überschreiten.‘“ https://www.deutschlandfunk.de/parteienfinanzierung-
die-steuermillionen-fuer-politische.724.de.html?dram:artic-le_id=315720