Zur Rolle der Desiderius-Erasmus-Stiftung im neurechten Geschichtsdiskurs
Der Gründung der Stiftung gingen auch im AfD-Umkreis heftige Diskussionen voraus: Politische Stiftungen seien ein Instrument der „Altparteien“, so die Kritik, von denen sich die AfD als Bewegungspartei bewusst abzugrenzen habe. Befürworter*innen konterten dies mit der Forderung nach „Waffengleichheit“ 2 (Erika Steinbach: „Man darf dem David nicht die Steinschleuder wegnehmen, um den Goliath zu erlegen“ 3), die gegenüber den anderen Parteien herzustellen sei. Mittlerweile ist die Stiftung in der AfD unumstritten, die von ihr gebotenen Vorteile dürften schlicht zu verführerisch sein: Neben direkten staatlichen Zuwendungen hat die Partei nun die Möglichkeit, über die Stiftung Geld auch aus anderen Quellen anzunehmen und über Honorarzahlungen weiterzugeben – die Buchhaltungspflichten für politische Stiftungen sind großzügig. Die Stiftung ist aber auch in programmatischer, ideologischer und publizistischer Hinsicht von unschätzbarem Wert für die Partei: als Forum einer Metapolitik, die Diskursverschiebungen gerade in einem kulturellen und bildungsbürgerlichen Milieu gestattet, das sich sonst von schrillen politischen Auftritten wenig beeindrucken lässt.
Politische Stiftungen in der Bundesrepublik
„2017 bekam die Ebert-Stiftung insgesamt rund 171 Millionen Euro, gefolgt von der Adenauer-Stiftung (167 Millionen), der Luxemburg-Stiftung und der Böll-Stiftung (jeweils 64 Millionen) sowie der Seidel- und der Naumann-Stiftung (jeweils 58 Millionen). Seit 2012 hat sich der Gesamtbetrag um 30 Prozent erhöht, eine Obergrenze existiert nicht.“ https://taz.de/!5518970/
So etwa bei der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung, die Verluste beim Tagungs- und Hotelbetrieb mit Steuermitteln beglichen haben soll. Das Bundesverwaltungsamt konnte einen Missbrauch der Seidel-Stiftung für Tagungsstätten nachweisen („CSU-nahe Stiftung muss 1,8 Millionen Euro zahlen“ www.sueddeutsche.de/bayern/umgang-mit-steuergeldern-csu-nahe-stiftung-muss-1-8-millionen-euro-zahlen-1.2159283).
Die Rolle der Desiderius-Erasmus-Stiftung
„Deutschland ist ein Fall für den Psychiater, und mit dieser Stiftung wollen wir die Therapeuten sein.“ https://www.welt.de/politik/deutschland/article183633908/AfD-nahe-Desiderius-Erasmus-Stiftung-Erika-Steinbach-attackiert-Migrationspolitik. html
Petition der Bildungsstätte Anne Frank gegen die Förderung der DES 2018 https://www.openpetition.de/petition/online/keine-steuergelder-fuer-geschichtsrevisionismus, auch wieder-gegeben in diesem Heft (S. 22)
Andere Seminartitel lauten: „Frauenpolitisches Seminar: GLEICHBERECHTIGUNG versus GLEICHSTELLUNG“, „Migration: Zur politischen Herausforderung durch eine neue Völker-wanderung“, „Rechts – Mitte – Links: Über weltanschauliche Grundlagen und deren Konsequenzen“, „Nachhaltigkeit ist ein konservatives Prinzip“.
Vgl.: Alia Wielens: „‚Wo bleibt euer Aufschrei?‘ Rassistische Umdeutungen von #aufschrei und #metoo durch Identitäre Frauen.“ In: Femina Politica 01/2019 Alia Wielens
Zu erwarten ist also eine exoterisch-esoterische Doppelstrategie: einerseits eine exoterische Normalisierung, ein Schwimmen mit dem akademischen Strom aktueller liberalbürgerlicher Diskurse, im Sinne des Narrativs: „Die AfD ist eine normale Partei mit einer normalen Stiftung.“
https://taz.de/Angst-der-AfD-vor-dem-Verfassungsschutz/!5542441/
Zu erwartende Geschichtspolitik
Bei der Problemanalyse für die Zeit zwischen dem Ende des Ersten und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs gingen die damit befassten Referenten auf die Kriegs- und Vernichtungspläne der Nationalsozialisten nicht ein. Vielmehr konzentrierte sich der Wiener Historiker Lothar Höbelt darauf, dass mit dem System von Versailles „keine neue Weltordnung“ geschaffen werden konnte und zahlreiche Probleme ungelöst geblieben seien. So sei das Selbstbestimmungsrecht nur einigen Völkern zugestanden worden, nicht aber den Sudetendeutschen in der neu gegründeten Tschechoslowakei, auch nicht den Ungarn in Rumänien und den Ukrainern in Polen. Diese Probleme seien dann Ende der 30er-, Anfang der 40er-Jahre „gelöst“ worden, sagte Höbelt und ließ es ausdrücklich offen, ob man „gelöst“ in Anführungsstriche setzen sollte oder nicht.“
„Weder aus Frankreich, noch aus England, noch aus Deutschland dürfen wir Einwanderungsländer machen. Das ertragen diese Gesellschaften nicht. Dann entartet die Gesellschaft.“ (Applaus) (Helmut Schmidt; Anfang der 90er) – „Dass der durchschnittliche IQ der Schwarzen um eine Standardabweichung also 15 Punkte niedriger liegt als der der Weißen, kann als Faktum gelten“ (Artikel 1974 Zeit, Diether E. Zimmer). Dieser stellte sich die Frage „ob denn da ein Zusammenhang zwischen menschlichen Großgruppen, früher einmal ‚Rasse‘ genannt, deren biologischer Ausstattung und dem was daraus folge bestehe“, so Weißmann. – „Hitler hat genausoviele Deutsche wie Juden getötet. Ich kann nur sagen, dass wir bestrebt sind diese Zeit der Gräuel, die man nicht ungeschehen machen kann, zu überwinden. Wir sollten sie aber nun der Vergangenheit überlassen.“ (1966, Adenauer) – „Es ist Propaganda über die Wehrmachtssoldaten zu sagen, ihr Militärdienst sei eine Art von Verbrechertum gewesen, weil Verbrecher die oberste Kommandogewalt besessen haben.“ (Theodor Heuss) – „Entscheidend ist, dass sich jeder zutiefst der einzigartigen, sittlichen und völkischen Aufgabe und Bedeutung unserer Familien, unserer Mütter und Väter bewusst wird und damit in eine gemeinsame Kampffront für unsere Familien einsetzt.“ Franz Josef Würmeing; Rede im Bundestag der 1950er, Familienministerium – „Erhaltung muss den Umsturz ablösen. Um der bewahrenden Weltanschauung Bahn zu schaffen haben wir uns zu einer Partei der Rechten zusammengeschlossen.“ (Manifest der Rechten im Frühsommer 1945)
Der Redner der DES erzeugt selbst keine kohärente revisionistische Argumentation, sondern versucht eine Richtigstellung: In seiner Suggestion gab es einmal einen homogenen, „normalen“ Diskurs über Nation, „Rassen“ und Holocaust, der in jüngster Zeit missbräuchlich verändert worden sei. Erneut stehen nicht-revisionistische Historiker*innen als manipulativ und geschichtsfälschend da, während die DES scheinbar die Geschichte für sich selbst sprechen lässt.
Grundsätzlich muss der Nationalismus der DES unter anderen Vorzeichen als denen des 20. Jahrhunderts gesehen werden. Neue Nationalist*innen glauben nicht mehr an eine historische Mission des Vaterlands, seine göttliche oder biologische Erwähltheit. Als Schüler*innen der Postmoderne brauchen sie auch nicht mehr an den Konstruktcharakter der Nation erinnert werden, sie leben ihn vielmehr bewusst: Die als Konstruktion erkannte Nation wird gerade als solche funktional. Die Menschen, so die Argumentation, bräuchten gerade in globalisierten Zeiten das nationale Narrativ für ein Gefühl der Sicherheit.
Es ist deshalb davon auszugehen, dass die DES in ihrer Veranstaltungspolitik sich einerseits weiter an klassisch bürgerlichen Themen („Abendland“), andererseits an postmoderner und kritischer Begriffsbildung orientieren wird – gerade im Hinblick auf die akademische Jugend. Für rechte Studierende ist es nicht attraktiv, in den von ihnen als links dominiert wahrgenommenen Fächern der Sozial- und Geistes-wissenschaften direkt mit der kruden und eigenbrötlerischen Terminologie der Neuen Rechten aufzutreten – wohingegen ein rechtes Reclaimen kritischer Theorie subversiv und aufregend ist. Schon jetzt sind Versuche im akademischen Teil der Identitären Bewegung auszumachen, Begriffe der queeren, feministischen oder antirassistischen Identitätspolitik „ethnopluralistisch“ auszulegen. Die Adaption der Sprache der Entmarginalisierung wird rhetorische Strategie – als scheinbar legitimes Widerstandsgebaren 15 einer angeblich verfolgten weißen Minderheit, deren Identität lediglich dieselben Rechte beanspruche wie die genuin Marginalisierter. Zu erwarten ist hier eine Bündelung weißer, männlicher / maskulinistischer und geschichtsrevisionistischer Opfernarrative auch im internationalen Kontext.
vgl. auch Steinbach: „David nicht die Steinschleuder wegnehmen“
„Vier von zehn Schülern wissen nicht, wofür Auschwitz steht“ https://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/auschwitz-vier-von-zehn-schuelern-wissen-nicht-wofuer-es-steht-a-1170423.html
Erik Lehnert (Schriftführer); zugleich Vorsitzender des IfS seit 2008, bis vor kurzem Geschäftsführer, zudem Mitarbeiter des MdB Harald Weyel (wiederum im Kuratorium der Stiftung). In einem Interview bezeichnete sich Lehnert einmal als Kämpfer „gegen eine moralinsaure Zivilgesellschaft, die jegliche Regung am rechten Rand unterdrückt“. https://www.welt.de/print/die_welt/politik/article200898750/AfD-nahe-Stiftung-oeffnet-sich-fuer-Rechtsaussen.html
Zu erwartende Geschichtspolitik
Um die geschichtspädogischen Strategien der DES zu bekämpfen, bedürfte es zunächst einer weitergehenden Dekonstruktion und Denormalisierung ihrer Methoden, einer Sichtbarmachung ihrer Strategien und einer Dechiffrierung ihrer bereits jetzt sehr elaborierten Rhetorik, die zahlreiche Anschlusspunkte für verschiedene Milieus und gesellschaftliche Bedürfnisse bietet. Die Aufmerksamkeit darf dabei gerade nicht auf der leerlaufenden Skandalisierung der oft absichtsvoll schrill auftretenden Figuren des Kuratoriums verweilen. Vielmehr müssen die Akteur*innen im Mittelfeld benannt werden, die die Normalisierungsstrategie im Wesentlichen tragen. Zuvörderst wäre dabei das Metanarrativ anzugreifen, welches die DES als eine Stiftung wie alle anderen Stiftungen darzustellen wünscht.
Ungleich wichtiger wäre aber ein Entzug der strukturellen und institutionellen Förderung, die die DES allein schon aufgrund ihrer Teilnahme am Parteiensystem erhalten wird. Ohne auch für andere Parteien schmerzhafte Korrekturen am ausnehmend lückenhaften Stiftungs- und Parteiengesetz wird das schlicht nicht zu leisten sein. 18 Zugleich sind bürgerliche Akteur*innen aufgerufen, ihr eigenes Geschichtsbild darauf zu überprüfen, ob es den Zielen einer enthistorisierten Historie bereits jetzt in Teilen entspricht. Dies wird nicht gelingen ohne Rekurs auf einen im bürgerlichen Milieu immer noch anschlussfähigen Topos der historischen Verantwortung. Zugleich müssen Bürgerliche klarstellen, dass staatliche Aufgaben sich nicht in einem ideologischen Vakuum vollziehen. Zu gerne wird hier das Grundgesetz als Sammlung von Freiheitsrechten dargestellt, in deren Rahmen geschichtsrevisionistische Thesen, als grundsätzlich von der Meinungsfreiheit gedeckt, zähneknirschend hingenommen werden müssten. Das Grundgesetz als historische Antwort auf die Verbrechen des Nationalsozialismus ernstzunehmen bedeutet hingegen die Pflicht, gerade jenen Positionen entgegenzutreten, die die vom Grundgesetz gewährten Rechte gegen diese selbst richten wollen.
Aus dem Themenheft „Wie die Rechten die Geschichteumdeuten“
„Ein Stiftungsgesetz könnte die Einnahmenseite der politischen Stiftungen einheitlich regeln, ein Politikfinanzierungsbericht Transparenz auf der Ausgabenseite schaffen. Doch dazu kommt es nicht, weil sowohl Regierung als auch Opposition kein Interesse daran haben. Alle profitieren vom System, so wie es jetzt ist. Anstatt dessen legten fünf Stiftungen eine gemeinsame Erklärung vor, in der sie vorschlugen, ‚bei einer Erhöhung des Gesamtansatzes der Globalzuschüsse die Zuwachsrate des Gesamthaushaltes grundsätzlich nicht zu überschreiten.‘“ https://www.deutschlandfunk.de/parteienfinanzierung-
die-steuermillionen-fuer-politische.724.de.html?dram:artic-le_id=315720